Intention
Meine Arbeit befasst sich mit der Darstellung von Tieren. Ihr Anblick löst im Menschen in intensiver Weise Bilder, Erinnerungen, Gefühle und Assoziationen aus. Sie sind in jeder Mythologie reich vertreten. Die enge und widersprüchliche Beziehung zum Tier geht auf die Ursprünge der Menschheit zurück. Denn der Mensch der frühen Steinzeit hat in einer Welt gelebt, die von Tieren bewohnt und geprägt war. Sie stellten für ihn Nahrungsquelle, Nahrungskonkurrent und Bedrohung dar.
Die Beschäftigung mit archaischen Tierdarstellungen hat mich veranlasst, tiefer in diese Thematik einzusteigen. Ich machte die Mensch-Tier-Beziehung zur Zeit der menschlichen Ursprünge zum zentralen Inhalt meiner Arbeit. Ich hege eine tiefe Bewunderung für die Künstler*innen der Vorgeschichte, die das innere Wesen der Tiere in Ihren Kunstwerken erfassen konnten.
Zentrales Thema bei der Abbildung der Tiere ist für mich das Einfangen einer inneren Bewegung, einer dynamischen Momentaufnahme. Meine Intention ist, den Betrachter zurückzuversetzen in die Zeit des frühen Menschen, der aus einem inneren Antrieb heraus beeindruckende Kunstwerke geschaffen hat. Ich möchte, dass meine Tierplastiken den Betrachter auf einer emotionalen, instinktiven Ebene ansprechen und eine Brücke zum Unbewussten bauen, das die Wurzeln zu unseren Ursprüngen bewahrt hat. In dieser verborgenen Welt sind wir eins.
Rede Bernard Davids anlässlich der Ausstellung im Centre de la Céramique Contemporaine La Borne
Auf dem Weg durch die Ausstellung von Ule Ewelt sehe ich mich wieder in einen engen steinernen Gang vordringen, in der Höhle von Niaux in der Ariège, in der man noch die Originalzeichnungen prähistorischer Menschen sehen kann. Mit den majestätischen Wäldern im Hintergrund, diesen Tieren hoch oben wie auf Steinmauern ausharrend, spüren wir die allgegenwärtige Natur mit ihrer überwältigenden Lebenskraft.
Heute Abend befinden wir uns im Schmelztiegel unseres Ursprungs. Der Bauch der Tiere hebt und senkt sich im Rhythmus unseres Atems. Wir stehen an der Schwelle primitiver, instinktiver Emotion, an der unser Leben stets auf der Hut ist, um am Leben zu bleiben. Die Tiere sind hier weder freundlich noch aggressiv, nur voller Lebensdrang.
Mit beinahe wilder, archaischer Gestik modelliert Ule Ewelt die Tiere vor ihrer Domestizierung. Sie bringt ihr Wesen zum Vorschein. Unser Zellgedächtnis wird geweckt, unsere Vorstellungskraft, in der sich Erinnerungen, Gefühle und intensive Projektionen auf die Tiere vermischen.
Sie waren bereits da, bevor wir aufgetreten sind. Nahrungsquelle, Nahrungskonkurrenten, Bedrohung für unser Überleben, vom Ursprung an sind wir eng mit ihnen verbunden. Seit Anbeginn der Zeit sind sie in allen Mythologien repräsentiert.
Der Kern von Ules Arbeit geht von ihrem Studium der Darstellungen der Höhlenkunst in den Grotten von Lascaux und Chauvet aus. Diese Vertiefung der Mensch-Tier-Beziehung situiert sie am Anbeginn des Menschseins. Aus dem, was wir sehen, spricht deutlich ihre Bewunderung für diese prähistorischen Künstler, die nur mit wenigen Ocker- und Holzkohlestrichen die Essenz des Lebens dieser Tiere erfassten. Und auch Du fängst in den Formen und dem Umgang mit ihnen diesen Elan ein, diesen „Vibe of Life“, der dem Dichter Kenneth White am Herzen liegt.
In dieser Ausstellung ist unsere Wahrnehmung weder intellektueller noch konzeptueller Art. Sie kommt aus unseren Eingeweiden, sie ergreift uns im Innersten. Fast befinden wir uns in der rustikalen Behaglichkeit einer Höhle. Wir können uns die Flammen der Feuerstelle vorstellen, die die Umrisse der Tiere auf der Leinwand aus Stein erhellt. Dieser vitale, dieser dynamische Anblick erschüttert alle unsere technologischen und mentalen Gewissheiten.
Was hören wir? Das Geräusch des Atems, das banale, wunderbare Zittern der Atmung des Tiers, also der unseren. Bison, Mammut, Bär, Steinbock, Nashorn, Leben, dem unseren parallel, dem zitternden Gras lauschend, dem Knacken trockenen Holzes, die Ohren spitzend. Die winzigste Unruhe nehmen wir wahr, die kleinste Bewegung im Gesichts- oder Geruchsfeld; selbst die Bewegung der Wolken und die Jahreszeiten spüren wir.
Der Ton, dieses großartige Material, spiegelt genau das wider, was Du vermitteln möchtest. Der Ton atmet im Rhythmus dieser Tiere. Der Anschein des Unkontrollierten, Aleatorischen, Unvollendeten mag überraschen. Aber gerade dieses zusätzliche Maß an Unvollkommenheit ermöglicht uns den Zugang zu diesem unfassbaren Lebendigen, lässt uns den Schauer der Existenz spüren, die beißende Kälte des Winters fühlen, die unerträgliche Hitze, den Mangel an Nahrung oder die Befriedigung nach der Jagd.
In dieser modernen Ausstellungshöhle, die sich auf den majestätischen Wald öffnet, schwanken wir - nicht angesichts des Todes, der uns mit einem Krallenschlag oder dem Stoß eines Horns ereilen kann; wir schwanken vor dem Kostbarsten, diesem Lebensdrang, dem Atem des Lebens.
Ule Ewelt offenbart dieses unsichtbare Wesentliche. Wenn wir in der Kunst diese Essenz, diesen Brennstoff der Existenz wahrnehmen dürfen, welch ein Wunder. Vielen Dank also dafür, dass Du dies mit uns teilst und dafür, dass Du unsere Einladung angenommen hast.
Bernard David, 2019